30 Geschichten aus 30 Jahren #13: deutsch-französisches Amphibienfahrzeug

30. Juli 2020

30 Geschichten aus 30 Jahren #13: deutsch-französisches Amphibienfahrzeug

Sein Name ist Lurchi und es ist ein sehr außergewöhnliches und in Deutschland und Frankreich einzigartiges Fahrzeug. Weder Boot noch LKW, sondern beides in Einem. Doch Lurchi ist vor allem ein wichtiges Hilfsmittel zum Schutz der Bevölkerung auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze.

Überschwemmungen kennen keine Grenzen

Am Oberrhein, von Germersheim bis St. Louis, leben entlang des Rheins mehr als eine Million Menschen. Viele der Gemeinden und Städte befinden sich in Nähe der Hochwasserbetten von den Flüssen Ill und Rhein. Aus diesem Grund ist unsere grenzübergreifende Region einem erhöhten Hochwasserrisiko ausgesetzt. Dieses Risiko betrifft nicht nur Wohngebiete, sondern auch Wirtschaftszentren und Industriegebiete, so auch den im Grenzgebiet bei Lauterbourg liegenden Chemiebetrieb, der als SEVESO II Standort eingestuft ist.

Ein Einsatz mit Hilfe von Großfahrzeugen und Booten kann auf Grund der räumlichen Gegebenheiten nicht immer gewährleistet werden. In flussnahen Innenstädten, insbesondere am Rhein ist es für Mehrzweckboote, schwimmende Arbeitsplattformen oder auch LKWs schwierig – wenn nicht sogar unmöglich – jeden Einsatzort zu erreichen, da die Wassertiefen in der Regel auf kurzem Raum sehr unterschiedlich sein können. So würden LKWs unabhängig von ihrer Watttiefe an einem Fortkommen gehindert sein und Booten würde bei Grundberührung der Antriebspropeller beschädigt oder gar abgerissen werden.

Taufe von Lurchi bei der offiziellen Indienststellung

Doch um bei Hochwasserlagen in oder an Gewässern entsprechende Hilfe leisten zu können, fehlte bis jetzt ein amphibisches Fahrzeug sowie ein Koordinierungsmechanismus für dessen grenzüberschreitende spezifische Nutzung.

So kamen die Truppen des Technischen Hilfswerks (THW) in Germersheim auf die Idee, gemeinsam mit ihrem französischen Partner von der Protection civile du Bas-Rhin ein Amphibienfahrzeug zur gemeinsamen Nutzung zu beschaffen. Ziel war eine Bündelung von Fachwissen und Ressourcen, um im Katastrophenfall die Einsatzfähigkeit der Rettungsdienste auf beiden Seiten der Grenze zu verbessern. Das beim THW in Germersheim noch stationierte Amphibienfahrzug (Baujahr 1942) war nicht mehr einsatzfähig, hatte aber seine Nützlichkeit bei zahlreichen Einsätzen bewiesen. So konnte dank der Interreg Fördergelder das Projekt Lurchi ins Leben gerufen werden.

Ein außergewöhnliches Mehrzweckfahrzeug im Dienste der Bevölkerung

Das Amphibienfahrzeug mit dem Namen „Lurchi“ wurde im Dezember 2017 in Dienst gestellt. Nach einer öffentlichen und europaweiten Ausschreibung musste das erworbene Gebrauchtfahrzeug erst einmal aufgerüstet werden.

Dank Interreg „[…] wird grenzüberschreitende Zusammenarbeit – wie hier im Katastrophenschutz – Realität. Interreg leistet damit einen entscheidenden Beitrag zu ‚mehr Europa‘“, so Staatssekretär Andy Becht (MWVLW RLP) bei der offiziellen Indienststellung.

Denn, das ausgewählte Fahrzeug war ursprünglich für den Tourismus bestimmt und musste deshalb für seinen neuen Rettungseinsatz umgebaut und angepasst werden.

Dank seines binationalen Status kann Lurchi gleichermaßen sowohl in Deutschland und Frankreich als auch von den Freiwilligen des THWs in Germersheim und der Protection civile du Bas-Rhin genutzt werden. Zu diesem Zweck haben die Projektpartner spezifische Ausbildungsmöglichkeiten und grenzüberschreitende Einsatz- und Alarmpläne entwickelt.

Die Zusammenarbeit zwischen dem THW Germersheim und der Protection Civile Bas-Rhin ist darüber hinaus ein Pilotbeispiel für den Katastrophenschutz in anderen Grenzregionen. Entscheidend für grenzüberschreitenden Einsätze sind gut funktionierende Koordinierungsmechanismen und regelmäßige, gemeinsame Ausbildungen und Einsatzübungen. Seit Anschaffung des Amphibienfahrzeuges traf sich die gemischte deutsch-französische Ausbildungsgruppe, bestehend aus je sechs deutschen und französischen HelferInnen bereits 18 Mal, um sich auf gemeinsame Hilfseinsätze vorzubereiten. Diese Ausbildungseinheiten finden all zwei Monate, abwechselnd in Deutschland und in Frankeich statt.

Sollte es zu einer Überschwemmung kommen und auf Grund des Wassers kein Durchkommen mehr für LKWs möglich sein, so kann sich Lurchi mit seinen 11-Tonnen ab einer Wasserhöhe von 30 bis 40 cm in ein Boot verwandeln. Dank der vielfältigen und flexiblen Einsetzmöglichkeit können Einsatzkräfte in Gewässerbereichen dann Hilfe leisten, wenn keine anderen technischen Zugangsmöglichkeiten dies mehr zulassen.

Das Mehrzweckfahrzeug kann etwa 20 Personen gleichzeitig bergen und bis zu 4 Tonnen Material transportieren. Mit Lurchi kann man ebenfalls schwimmende Absperrungen bei Umweltverschmutzung errichten, nach vermissten Personen suchen oder die Bevölkerung mit Vorräten versorgen. Auf der Straße kann Lurchi eine Geschwindigkeit von 80 km/h erreichen, auf dem Wasser 15 km/h.

Das Amphibienfahrzeug in Aktion

Im Jahr 2020, fast drei Jahre nach seiner Indienststellung, wartet das Amphibienfahrzeug noch immer auf seinen ersten wahren Einsatz.

In der Zwischenzeit bleibt den ehrenamtlichen Einsatzkräften des THWs und der Protection civile genügend Zeit für gemeinsame Trainingseinheiten. Doch seit 2017 war Lurchi schon viel unterwegs, denn das Interesse am Amphibienfahrzeug ist groß. Nicht nur andere Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen, sondern auch die Öffentlichkeit möchten Lurchi kennenlernen. Im Jahr 2019 wurde das Land-Wasser Fahrzeug auf dem deutsch-französischen Blaulichttag in Kehl ausgestellt, wo Jung und Alt die Gelegenheit hatten, es zu entdecken.

Im September 2020 beim Fest 125 Jahre Wintersdorfer-Iffenzheimer Brücke kann man Lurchi das nächste Mal antreffen.

Wenn das Amphibienfahrzeug nicht im Einsatz ist, ist es für Wartung und Pflege beim THW in Germersheim stationiert. Das Haupteinsatzgebiet erstreckt sich von Germersheim bis Straßburg. Im Falle einer größeren Katastrophe könnte das Amphibienfahrzeug jedoch auch in weit entfernteren Regionen eingesetzt werde: zum Beispiel könnte es, wenn nötig, über Nacht in Paris sein. Und im Extremfall eines gleichzeitigen Hochwasseraufkommens auf beiden Seiten des Rheins ist es ein Büro für Krisenmanagement, das wie jeder Rettungsdienst die Prioritäten für die durchzuführenden Einsätze setzt.

 

Hier geht es zum technischen Datenblatt und zu mehr Geschichten über Lurchi.


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