Interview: Projektträger und Nutzer berichten von TRISAN

Gesundheit | 3. Oktober 2023

Interview: Projektträger und Nutzer berichten von TRISAN

TRISAN ist ein trinationales Kompetenzzentrum für grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich mit Sitz in Kehl. Ziel dieses Zentrums ist es, die Gesundheitskooperation in der Oberrheinregion zu unterstützen, um die Gesundheitsversorgung für die in diesem grenzüberschreitenden Raum lebenden Menschen zu optimieren. Gegründet wurde TRISAN im Jahr 2016 auf Initiative der Arbeitsgruppe „Gesundheitspolitik“ der deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz (ORK) im Rahmen eines vom Programm Interreg Oberrhein geförderten Projekts. 2019 erhielt TRISAN eine zweite Kofinanzierung durch Interreg, um einen „Trinationalen Handlungsrahmen für eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung am Oberrhein“ zu erstellen. Im Zuge dieses Projekts entwickelte TRISAN zahlreiche Instrumente für die Akteure im Gesundheitswesen und für die Bürger*innen.

Anne Dussap, Projektleiterin beim Euro-Institut, gibt uns einen Überblick über das Projekt, die zu überwindenden Hindernisse und die konkreten Ergebnisse. Delphine Carré, Referentin bei der INFOBEST Vogelgrun/Breisach, eine der vier Informations- und Beratungsstellen für grenzüberschreitende Frage am Oberrhein, berichtet, wie sie in ihrem Berufsalltag die von TRISAN gesammelten Informationen und entwickelten Instrumente ganz konkret nutzt.

Frau Carré, uns würde interessieren, inwieweit es im Rahmen Ihrer Aufgaben bei der INFOBEST Vogelgrun/Breisach vorkommt, dass die Nutzer/innen sich mit Fragen nach dem Angebot an grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistungen an Sie wenden. Welche Arten von Fragen werden Ihnen gestellt?

Delphine CARRE: Die INFOBEST Vogelgrun/Breisach befasst sich mit zahlreichen Themenbereichen, zu denen auch die Krankenversicherung bzw. der Zugang zur Gesundheitsversorgung im Nachbarland gehören. Die konkreten Fragen betreffen zum einen die Versicherung der Grenzgänger/innen sowie ihrer anspruchsberechtigten Familienangehörigen, das Krankengeld, die Pflegeleistungen, die Regelungen für Personen, die mehrere Erwerbstätigkeiten ausüben, und das Homeoffice. Zum anderen wird danach gefragt, welche Möglichkeiten es gibt, Gesundheitsdienstleistungen im Nachbarland in Anspruch zu nehmen, wenn man dort nicht versichert ist, und wie die Kostenübernahme bzw. -erstattung geregelt ist. In diesem Zusammenhang kann es um mehrere konkrete Situationen gehen: um geplante Behandlungen mit oder ohne eine vorgeschriebene Vorabgenehmigung, eine medizinisch notwendige Versorgung bei einem Aufenthalt im Nachbarland oder auch um die Fortführung einer Behandlung von Personen, die früher im betreffenden Land versichert waren. Eine immer wiederkehrende Frage zielt auch darauf ab, ob bei einem Notfall ein Transport in ein grenznahes Krankenhaus im Nachbarland möglich ist.

Während der Covid-19-Pandemie kamen dann ganz neue Fragen auf, beispielsweise zum Grenzübertritt, um einen Arzt oder eine Apotheke aufzusuchen, zur Entschädigung von Eltern aufgrund einer Betreuungserfordernis infolge der Schulschließungen oder Quarantänevorschriften, zu den Testpflichten, zur Möglichkeit, sich im Nachbarland testen bzw. impfen zu lassen, und zu den Gesundheitspässen.

Frau Dussap, was hat sich nach den 6 Jahren, die TRISAN nun existiert, am Oberrhein für die Akteure im Gesundheitswesen und bei der Gesundheitsversorgung geändert?

Anne DUSSAP: Nach dem Start des ersten Interreg-Projekts führte TRISAN eine Studie zu den Kooperationspotenzialen im Gesundheitsbereich durch. Dabei wurde festgestellt, dass viele Akteure auf eine grenzüberschreitende Gesundheitskooperation verzichteten, weil sie ihnen angesichts zu vieler Hindernisse und eines fehlenden politischen Willens als zu schwierig realisierbar erschien. Innerhalb von 6 Jahren hat TRISAN dazu beigetragen, die Akteure zu vernetzen und einen konstruktiven Austausch aufzubauen, durch den es möglich ist, die Hindernisse zu identifizieren und zusammen nach Lösungen zu suchen. Die Umsetzung einer Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich bleibt zwar eine komplexe Angelegenheit, sie ist aber durchaus möglich. TRISAN hat hierfür praktische Instrumente entwickelt, zum einen in Form der Vernetzung von Akteuren und zum anderen durch die Bündelung von Wissen, das für die Entwicklung von Projekten genutzt werden kann. Zum Beispiel können die Bürger/innen beim „Abenteuer“ der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung auf das Netzwerk der Krankenkassen und die Leitfäden zur Patientenmobilität zurückgreifen. Ferner wurden durch die grenzüberschreitenden Analysen des Versorgungsangebots die Voraussetzungen für das Zustandekommen konkreter Projekte auf lokaler Ebene geschaffen, wie beispielsweise das vom Eurodistrict Pamina durchgeführte Projekt „Offre de soins – Gesundheitsversorgung“. Kurzum: TRISAN hat die existierenden Projekte sichtbar gemacht und zeigt, dass die Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich möglich ist.

Frau Carré, was hat sich durch TRISAN in Ihrem Alltag verändert?

 

Delphine Carré, Referentin bei der INFOBEST Vogelgrun/Breisach

 

Anne Dussap, Projektleiterin beim Euro-Institut, für TRISAN verantwortlich

Delphine CARRE: Aufgrund der Vielfalt und Komplexität der Fragen, mit denen wir bei unserer Arbeit konfrontiert sind, gab es bereits seit vielen Jahren eine enge Zusammenarbeit mit der Ortskrankenkasse CPAM im Departement Haut-Rhin und der AOK Baden-Württemberg. Diese beiden Krankenkassen bieten unter anderem einmal im Monat gemeinsame Sprechstunden in unseren Räumlichkeiten an.

TRISAN hat diese Kooperation durch die Einbeziehung aller Akteure inzwischen verstärkt und erweitert (Krankenkassen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz, Verbindungsstellen, nationale Kontaktstellen, INFOBEST-Netzwerk), wodurch eine Plattform für gezielte Austausche entstanden ist. Im Rahmen des Projekts konnte das INFOBEST-Netzwerk verschiedene konkrete Probleme der Nutzer/innen im Zusammenhang mit der Patientenmobilität weitergeben, sich direkt über diese Schwierigkeiten mit den betroffenen Akteuren austauschen und gemeinsam ganz pragmatisch über mögliche Lösungen/Verbesserungen nachdenken. Nicht immer ist es möglich, Lösungen auf unserer Ebene zu finden, doch wir konnten aktiv an der Entwicklung der Tools mitwirken, wie zum Beispiel am Ratgeber zur Krankenversicherung für Grenzgänger/innen oder an den Leitfäden zur Patientenmobilität. Mit diesen Ratgebern bzw. Leitfäden besteht die Möglichkeit, die Versicherten im Vorfeld besser zu informieren, um zu verhindern, dass sie sich in einer problematischen Situation wiederfinden. Wir weisen die Nutzer/innen sehr regelmäßig auf diese Tools hin, was für uns eine enorme Zeitersparnis bedeutet.

Im Übrigen fanden anlässlich des 25-jährigen Bestehens unserer INFOBEST zwei Online-Workshops statt, die zusammen mit TRISAN, der CPAM Haut-Rhin und der AOK Baden-Württemberg organisiert wurden, um sowohl die Versicherten als auch die Multiplikatoren für die Probleme im Zusammenhang mit dem Zugang zur Gesundheitsversorgung im Nachbarland (Frankreich/Deutschland) zu sensibilisieren.

Frau Dussap, welches sind die größten Unterschiede zwischen den drei Gesundheitssystemen, die Sie bei Ihrer Arbeit beobachten konnten? Welcher dieser Unterschiede hat den größten Einfluss auf den grenzüberschreitenden Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen?

Anne DUSSAP: Aus Sicht der Akteure im Gesundheitssektor liegt der größte Unterschied in der Organisationsstruktur und politischen Steuerung der Gesundheitssysteme. Aus der Tatsache, dass es einerseits in Frankreich ein zentralisiertes Gesundheitssystem gibt und andererseits das Gesundheitswesen sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz föderal und dezentral organisiert ist, ergeben sich Asymmetrien bei den Zuständigkeiten und dementsprechend unterschiedliche Entscheidungsebenen. Die jeweils andere Art und Weise, wie die Gesundheitsversorgung reguliert wird, d. h. entweder durch die Gesetze des Marktes oder durch eine institutionelle Steuerung, macht es schwierig, die richtigen Ansprechpartner für eine Zusammenarbeit zu finden. Für Deutschland und die Schweiz kommen die innerstaatlich unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern bzw. Kantonen hinzu, die aus französischer Sicht schwer nachzuvollziehen sind. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, dass der – tatsächliche oder vermutete – Unterschied bei den Kosten für die jeweiligen medizinischen Behandlungen nach wie vor eine Unbekannte darstellt, was für Verunsicherung sorgt. Die Öffnung für mögliche Kooperationen wird daher eher als Risiko denn als Chance gesehen.

Für die Patientinnen und Patienten stellt sich beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen im Nachbarland zuallererst die Frage der Sprache. Da die Gesundheit ein sehr persönliches Thema und ein wertvolles Gut ist, wünscht sich jeder nach Möglichkeit eine Versorgung in seiner Muttersprache (und im Übrigen auch gemäß der gängigen Praxis seines Heimatlandes). Als nächstes stellt sich die Frage danach, an welchen Anbieter in der Gesundheitsversorgung man sich wenden soll, was nicht immer ganz klar ist, wenn man über das Angebot im Nachbarland nicht informiert ist. Schließlich bleibt die Kostenerstattung bei einer medizinischen Behandlung in einem anderen Land ein kompliziertes und wenig transparentes Thema – ganz zu schweigen vom Verwaltungsaufwand, der Problematik der Termine und Fristen etc. Und dem Wort „Erstattung“ ist es schon zu entnehmen: Zunächst müssen die Patientinnen und Patienten in Vorlage treten, was im deutschen und Schweizer Gesundheitswesen nicht üblich ist.

TRISAN sah ich durch das Aufkommen der Covid-19-Pandemie nur wenige Monate nach dem Projektstart mit einer enormen Herausforderung konfrontiert. Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf das Projekt? Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Anne DUSSAP: Das Projekt wurde durch die Pandemie natürlich erheblich beeinträchtigt. Einige Akteure hatten aufgrund dessen, dass sie durch das Krisenmanagement in Beschlag genommen waren, keine Zeit mehr, sich mit Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu befassen, die nun in den Hintergrund traten. Daher passten auch die Projektpartner ihre Ziele an: Zum einen erarbeitete TRISAN Vergleichstabellen zur Impfpolitik und zu den Teststrategien in den drei Ländern, um die Diskussionen in der Arbeitsgruppe Gesundheitspolitik der ORK zu unterstützen. Zum anderen sammelte das Kompetenzzentrum Informationen zu den Impfmöglichkeiten im Nachbarland, um sie der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Nach der Pandemie machen sich nun die Versorgungsengpässe bei den Medikamenten und der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen bemerkbar. Damit stellte sich die Frage, ob die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine Lösung darstellen könnte, in bestimmten Grenzgebieten das Versorgungsangebot zu ergänzen. Sind die Akteure auf der einen und die Bürger/innen auf der anderen Seite bereit hierfür? Die grenzüberschreitende Solidarität, die zu Beginn der Pandemie in vielen Bereichen zu verzeichnen war, hat durchaus Möglichkeiten erkennbar werden lassen. Im weiteren Verlauf hat die Pandemie dann jedoch deutlich gemacht, wie fragil die Kooperation in einer Notlage ist. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit lässt sich besser langfristig aufbauen. Eine der Lehren aus der Pandemie ist, dass die Resilienz der Zusammenarbeit auf den Netzwerken der Akteure und den persönlichen Beziehungen basiert.

Und was wünschen Sie TRISAN für die Zukunft?

Anne Dussap: Das Kompetenzzentrum TRISAN gestaltet seine Zukunft in Anknüpfung an das Interreg-Projekt und bleibt im Sinne seiner Verstetigung im Euro-Institut angesiedelt, wobei es von 25 Mitgliedern getragen wird, von denen 12 finanzierende Partner sind. Ich wünsche mir, dass TRISAN ein Bindeglied zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen bleibt, um sie bei der Entwicklung konkreter grenzüberschreitender Projekte zum Nutzen der jeweiligen Gebiete zusammenzuführen und zu begleiten.

Delphine Carré: Aus den vielfältigen gemeinsamen Arbeiten mit TRISAN im Rahmen dieses Projekts sind fünf Kooperationsprotokolle hervorgegangen, in denen die bestehenden Probleme genau beschrieben und Verbesserungsansätze formuliert werden. Künftig wird es nun darum gehen, die Anwendung der Protokolle zu beobachten und diese gegebenenfalls anzupassen. Hierzu werden weitere Abstimmungen untereinander erforderlich sein, einhergehend mit der Entwicklung neuer Tools und nicht zuletzt auch der Berücksichtigung der neuen Probleme, die bereits jetzt erkennbar geworden sind bzw. in naher Zukunft auftreten könnten. Für die Zukunft von TRISAN wünsche ich mir, dass das Kompetenzzentrum dieser starke Akteur bleibt, der uns dabei hilft, unsere Arbeit am Abbau der Hindernisse fortzusetzen, auf die die Bürger/innen in unserer Oberrheinregion stoßen.

 

Gegenstand des Projekts „Trinationaler Handlungsrahmen für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung

Das TRISAN-Team im Euro-Institut hat das Projekt „Trinationaler Handlungsrahmen für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung“ durchgeführt und zahlreiche Informationsmaterialien zum Angebot an Gesundheitsdienstleistungen im grenzüberschreitenden Raum erarbeitet. Das von 29 institutionellen Partnern aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz kofinanzierte Projekt hatte zum Ziel, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zu entwickeln, die grenzbedingten Hindernisse abzubauen und das Wissen über die jeweils anderen Gesundheitssysteme zu verbessern. Mehr Informationen auf der Website von TRISAN.